Infotexte

Vertiefende Informationen zu ausgewählten Heterogenitätsmerkmalen und Lernausgangslagen sowie deren Diagnostik

Hier werden ausgewählte besondere Lernausgangslagen von Lernenden insbesondere im Bereich der Heterogenitätsdimensionen Kognition und Verhalten vertiefend und zugleich übersichtlich dargestellt. Kurze Definitionen, Beschreibungen der wesentlichen Symptome bzw. des Erscheinungsbildes und Hinweise zu ihrer Entstehung sowie Verfahren zur Diagnose helfen dabei, Handlungsstrategien für eine förderbezogene Diagnostik in diesem Bereich zu entwickeln. Zu beachten ist, dass die formalen Feststellungsverfahren zu diesen besonderen Ausgangslagen i. d. R. von Expert:innen durchgeführt werden. Lehrkräfte und Schulen der Schüler:innen können in diesem Rahmen ebenfalls einbezogen werden. Zudem können Lehrkräfte Anregung geben, ein formales Feststellungsverfahren einzuleiten.

Aufmerksamkeitsdefizit-(Hyperaktivitäts-)Störung – AD(H)S

Begriffsdefinition

Unter AD(H)S wird das breite Spektrum der Aufmerksamkeitsdefizit-(Hyperaktivitäts-)Störungen mit Hyperaktivität (ADHS) und ohne Hyperaktivität (ADS) gefasst (Erklärung der Weltgesundheitsorganisation WHO) (Neuy-Bartmann 2012).

Symptomatik/Erscheinungsbild

Das Störungsbild von AD(H)S ist durch die extreme Ausprägung der drei Kernsymptome Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität (in unterschiedlicher Gewichtung) gekennzeichnet (Schramm 2016).

  • Unaufmerksamkeit: kurzfristiges Interesse an Themen und Dingen, Sprunghaftigkeit, Vergesslichkeit, Hang zu Flüchtigkeitsfehlern
  • Hyperaktivität: motorische Unruhe
  • Impulsivität: unüberlegtes, vorschnelles Verhalten sowie kurzfristige, unkontrollierte Gefühlsaubrüche

Prävalenz1 (Häufigkeit der Erscheinung)

AD(H)S tritt am häufigsten bei Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 18 Jahren auf, wobei etwa 5 % dieser Altersgruppe betroffen sind. In Deutschland wird AD(H)S bei Jungen ca. viereinhalb Mal häufiger diagnostiziert als bei Mädchen (Schramm 2016). Bei bis zu 70 % der betroffenen Kinder können die Symptome bis ins Erwachsenenalter nachgewiesen werden (Banaschewski 2009).

Komorbidität2 (Begleiterkrankungen)

Ungefähr zwei Drittel aller Menschen mit AD(H)S weisen eine komorbide psychische Störung auf (Schramm 2016).

Häufige Komorbiditäten (nach abnehmender Häufigkeit sortiert):

  • externalisierte Verhaltensstörungen (Oppositionelles Trotzverhalten, Störungen des Sozialverhaltens)
  • internalisierte Verhaltensstörungen (Angststörungen, Depressionen)
  • Substanzmissbrauch (Tabak, Alkohol und andere Drogen)
  • Lernschwächen und Teilleistungsschwächen (Legasthenie, Dyskalkulie)
  • Tic-Störung & Tourette-Syndrom

Ursachen

Das Bio-Psycho-Soziale Störungsmodell (BPS) erklärt die Entstehung einer Störung auf verschiedenen biologischen und sozialen Ebenen (Döpfner 2009). Ziel ist es, das Zusammenspiel/die Bedeutsamkeit der Faktoren Seele, Körper und der sozialen Ebene, die bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von problematischem Verhalten in Zusammenhang mit AD(H)S eine Rolle spielen, zu beleuchten (Gawrilow 2016).

  • Biologische Faktoren: Die Ausprägung der AD(H)S-Symptomatik ist zu 76 % durch genetische Veranlagung bedingt (Faraone et al. 2005).
  • Psychosoziale Faktoren: Das konkret gezeigte Verhalten wird durch folgende psychosoziale Faktoren bedingt:
  • Innere psychosoziale Faktoren (z. B. ungünstige reaktive Verarbeitung der Störung, ungünstige soziale Reaktionen von Bezugspersonen, ungünstige Beziehungen zu Bezugspersonen wie Lehrpersonen oder Peers)
  • Äußere psychosoziale Faktoren (z. B. gesellschaftliche Normvorstellungen, psychosoziale Risiken in der Familie)

Diagnostische Verfahren

In der Regel wird AD(H)S in einem mehrstufigen Verfahren durch das hierfür geschulte Fachpersonal (z. B. Psychotherapeut:innen oder Fachärzt:innen) diagnostiziert. Hierfür werden nach einem begründeten Anfangsverdacht (z.B. im Rahmen von Beobachtungen durch Lehrkräfte im Unterricht) verschiedene standardisierte Testverfahren und Untersuchungen eingesetzt (u. a. zur Abklärung von Verhaltenskriterien, Intelligenztest, Interview zur Erfassung der Emotionalität und neuronale Untersuchung), in die auch Lehrkräfte einbezogen werden können (z. B. zur Erfassung der Emotionalität und schulischer Leistungen).

Im Kontext (beruflicher) Schulen können Lehrkräfte beispielsweise frei verfügbare Beobachtungsbögen zum Sozialverhalten (u. a. in Gruppenarbeitsphasen), zu Verhaltensauffälligkeiten sowie zum Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten einsetzen. Auch die Ergebnisse von Selbst- und Fremdeinschätzungsbögen können als Basis für ein vertiefendes Gespräch zwischen Lehrkraft und Schüler:in dienen.

Literaturhinweise

  • Banaschewski, T. (2009). Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen – State of the Art. In F. Häßler (Hrsg.), Das ADHS Kaleidoskop. State oft the Art und bisher nicht beachtete Aspekte von hoher Relevanz (S. 1-6). Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
  • Döpfner, M. (2009). Hyperkinetische Störung und oppositionelles Trotzverhalten. In S. Schneider & J. Margraf (Hrsg.), Lehrbuch der Verhaltenstherapie: Band 3: Störungen im Kindes- und Jugendalter (S. 429–451). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-540-79545-2_27
  • Faraone, S. V., Perlis, R. H., Doyle, A. E., Smoller, J. W., Goralnick, J. J., Holmgren, M. A. & Sklar, P. (2005). Molecular genetics of attention-deficit/hyperactivity disorder. Biological Psychiatry, 57(11), 1313-1323. https://doi.org/10.1016/j.biopsych.2004.11.024
  • Gawrilow, C. (2016). Lehrbuch ADHS: Modelle, Ursachen, Diagnose, Therapie (2., aktualisierte Auflage). Ernst Reinhardt.
  • Neuy-Bartmann, A. (2012). ADHS. ADHS Deutschland e.V. Selbsthilfe für Menschen mit ADHS vom 12.05.2012. http://www.adhs-deutschland.de/adhs/adhs-ads
  • Schramm, S. A. (2016). Störungsbild ADHS. In N. Grewe, N., H. Scheithauer & W. Schubarth (Hrsg.), ADHS und Schule. Grundlagen, Unterrichtsgestaltung, Kooperation und Intervention. Kohlhammer.

Anmerkungen

1 Prävalenz: Häufigkeit des Vorkommens eines Symptoms bzw. einer Beeinträchtigung in einem bestimmten Zeitraum in einer bestimmten Population
2 Komorbidität: Gleichzeitiges Vorkommen von mindestens zwei verschiedenen Erkrankungen bei einer Person

Download: ADHS Informationstexte

 

Autismus-Spektrum-Störung – (ASS)

Begriffsdefinition

Autismus ist eine tiefgreifende (d. h. zeitlich überdauernde, schwere und vielfältige Bereiche betreffende) Entwicklungsstörung bzw. eine Störung der neuronalen und mentalen Entwicklung. Auffälligkeiten zeigen sich insbesondere in der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie in Verhaltensmustern. Sie treten in der Regel in der Kindheit auf und halten bis ins Erwachsenenalter an. Durch Behandlungen ist eine Verbesserung der Symptomatik möglich.

Die traditionelle Unterscheidung von Autismus-Arten (frühkindlicher Autismus, atypischer Autismus, Asperger-Syndrom) ist nicht trennscharf und wird heute zugunsten des Begriffs Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) aufgegeben (Habermann & Kißler 2022; Kamp-Becker & Bölte 2021).

Symptomatik/Erscheinungsbild

Zentrale Symptome liegen in anhaltenden Defiziten in der sozialen Kommunikation und Interaktion sowie in eingeschränkten, repetitiven Verhaltensmustern.

In dem internationalen Klassifikationsschema ICD der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden u.a. folgende Symptome ausgewiesen (Kamp-Becker & Bölte 2021):

Defizite in der sozialen Kommunikation und Interaktion:

  • Defizite in der sozial-emotionalen Gegenseitigkeit
  • Defizite im nonverbalen Kommunikationsverhalten
  • Defizite in der Aufnahme, Aufrechterhaltung und dem Verständnis von Beziehungen

Eingeschränkte, repetitive Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten:

  • Stereotype oder repetitive motorische Bewegungsabläufe, stereotyper oder repetitiver Gebrauch von Objekten oder der Sprache
  • Festhalten an Gleichbleibendem, unflexibles Festhalten an Routinen oder an ritualisierten Mustern verbalen oder nonverbalen Verhaltens
  • Hochgradig begrenzte, fixierte Interessen, die in ihrer Intensität oder ihrem Inhalt abnorm sind
  • Hyper- oder Hyporeaktivität auf sensorische Reize oder ungewöhnliches Interesse an Umweltreizen

Prävalenz1 (Häufigkeit der Erscheinung)

Die Prävalenz von ASS ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen und beträgt heute etwa 0,7 % der Bevölkerung. Dies kann teilweise auf eine verbesserte Diagnostik zurückgeführt werden, aber auch Umweltfaktoren und genetische Faktoren spielen eine Rolle (Kamp-Becker & Bölte 2021).

Komorbidität2 (Begleiterkrankungen)

ASS tritt häufig in Verbindungen mit anderen Begleiterkrankungen auf, ca. 2/3 aller Menschen mit Autismus weisen komorbide Symptome auf. Dazu gehören (Kamp-Becker & Bölte 2021):

  • Intelligenzminderung
  • Ängste und Phobien
  • oppositionelles und aggressives Verhalten (z. B. selbstverletzendes Verhalten wie Kopfschlagen, Kratzen, Beißen)
  • Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (z. B. motorische Unruhe, erhöhte Impulsivität, Aufmerksamkeitsdefizit)
  • Depressionen

Ursachen

Die Ursachen für die Entstehung von ASS sind vielfältig (Kamp-Becker & Bölte 2021):

  • Genetik (gilt als unbestrittener Einflussfaktor)
  • vor- sowie nachgeburtliche Umweltfaktoren
  • körperliche Erkrankungen (z. B. neurologische/genetische Syndrome wie Epilepsie)
  • Hirnschädigungen bzw. Hirnfunktionsstörungen
  • biochemische und neuropsychologische Faktoren (Einfluss ist bisher nicht eindeutig geklärt)

Diagnostische Verfahren

Eine autistische Störung wird i. d. R. von fachlich qualifiziertem und mit dem autistischen Spektrum vertrautem Personal (z. B. Psychiater:innen, Neurolog:innen, Psycholog:innen) diagnostiziert. Dabei handelt es sich um einen umfangreichen Prozess, der Expert:innen verschiedener Fachgebiete einbezieht (u. a. Pädiatrie, Psychiatrie, Psychologie, Sprach- und Ergotherapie) (Habermann & Kißler 2022; Kamp-Becker & Bölte 2021).

Sofern keine Diagnose vorliegt, können Lehrkräfte (z. B. aufgrund ihrer Beobachtungen im Unterricht) zur Formulierung eines Anfangsverdachts beitragen. Zudem können Lehrkräfte bzw. schulische Berichte einen Beitrag im Rahmen des diagnostischen Verfahrens leisten, wenn es beispielsweise um die Erfassung der aktuellen Situation (z. B. Verhaltensauffälligkeiten in Schule und Unterricht, Interaktions- und Kommunikationsstil) geht.

Literaturhinweise

  • Kamp-Becker, I. & Bölte, S. (2021). Autismus (3. Auflage). Ernst Reinhardt.
  • Habermann, L. & Kißler, C. (2022). Das autistische Spektrum aus wissenschaftlicher, therapeutischer und autistischer Perspektive.

Anmerkungen

1 Prävalenz: Häufigkeit des Vorkommens eines Symptoms bzw. einer Beeinträchtigung in einem bestimmten Zeitraum in einer bestimmten Population
2 Komorbidität: Gleichzeitiges Vorkommen von mindestens zwei verschiedenen Erkrankungen bei einer Person

Download: Autismus Informationstext

Rechenschwäche/Dyskalkulie

Begriffsdefinition

Unter einer Rechenstörung (auch Dyskalkulie oder Lernentwicklungsstörung im Bereich Mathematik genannt) wird eine langanhaltende Beeinträchtigung des Erlernens des Rechnens verstanden, die nicht durch allgemeine Lernschwierigkeiten bzw. Intelligenzminderung oder äußere Umstände (z. B. mangelhafte Beschulung oder Fehlzeiten aufgrund von längerer Erkrankung, soziales Umfeld) begründet ist (BVLD 2018).

Symptomatik/Erscheinungsbild

Unter Rechenstörungen werden insbesondere Schwierigkeiten in folgenden Bereichen gefasst (BVLD 2018; Jacobs & Petermann 2012):

  • Zahlen und Mengen erkennen und zuordnen
  • mathematische Grundrechenarten (Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division) durchführen
  • mathematische Konzepte verstehen
  • Transkodieren von Zahlwörtern und arabischen Zahlen
  • Memorieren arithmetischer Fakten (Einmaleins)

Nicht erkannte Rechenstörungen in Verbindung mit negativen Schulerfahrungen und Misserfolgserlebnisse in Mathematik führen zudem häufig zu Versagensängsten sowie reduziertem Selbstwertgefühl.

Prävalenz1 (Häufigkeit der Erscheinung)

In Deutschland weisen ca. 3 bis 7 % der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen eine Rechenstörung auf (Haberstroh & Schulte-Körne 2019). Im Unterschied zu anderen Entwicklungsstörungen wie Legasthenie, AD(H)S und Sprachentwicklungsstörungen, bei denen eine höhere Prävalenz bei Jungen zu beobachten ist, sind hier beide Geschlechter gleichermaßen betroffen (Landerl, Vogel & Kaufmann 2022).

Komorbidität² (Begleiterkrankungen)

Rechenstörungen treten häufig zusammen auf mit:

  • Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS)
  • Aufmerksamkeitsdefizit-(Hyperaktivitäts-)Störung (AD[H]S)
  • internalisierende Störung (z. B. Ängste, Niedergeschlagenheit)
  • externalisierende Störung (z. B. Aggressivität, Unruhe)

(Haberstroh & Schulte-Körne 2019; Landerl, Vogel & Kaufmann 2022)

Ursachen

Die Ursachen für Rechenstörungen sind noch nicht im Detail geklärt. Es wird angenommen, dass mehrere Faktoren Einfluss hierauf haben. Diskutiert werden vor allem genetische (Vererbbarkeit), neurowissenschaftliche und kognitive Faktoren (BVLD 2018).

Diagnostische Verfahren

Die Diagnose von Rechenschwäche erfolgt in einem mehrdimensionalen Vorgehen und ist i. d. R. Aufgabe von Ärzt:innen für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie von Kinder- und Jugendpsychotherapeut:innen. Dazu werden häufig standardisierte (Rechen- und Intelligenz-)Tests, eine klinische Untersuchung sowie eine ausführliche Anamnese durchgeführt. In diesem Rahmen können auch schulische Unterlagen hinzugezogen werden. Zudem können Lehrkräfte bei der Formulierung eines Anfangsverdachts beteiligt sein.
(Haberstroh & Schulte-Körne 2019; Landerl, Vogel & Kaufmann 2022).

Literaturhinweise

  • Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e. V. (2018). Legasthenie und Dyskalkulie im Erwachsenenalter. Ratgeber für Jugendliche und Erwachsene mit einer Legasthenie oder Dyskalkulie. EZB. https://www.bvl-legasthenie.de/images/static/pdfs/bvl/7_Ratgeber_Erwachsene_barrierefrei.pdf
  • Haberstroh S., & Schulte-Körne, G. (2019). Clinical practice guideline: The diagnosis and treatment of dyscalculia. Deutsches Ärzteblatt International, 116, 107–14. https://doi.org/10.3238/arztebl.2019.0107
  • Jacobs, C., & Petermann, F. (2012). Diagnostik von Rechenstörungen (2. Auflage). Hogrefe.
  • Landerl, K., Vogel, S. E., & Kaufmann, L. (2022). Dyskalkulie (4. Auflage). Ernst Reinhardt.

Anmerkungen

1 Prävalenz: Häufigkeit des Vorkommens eines Symptoms bzw. einer Beeinträchtigung in einem bestimmten Zeitraum in einer bestimmten Population
2 Komorbidität: Gleichzeitiges Vorkommen von mindestens zwei verschiedenen Erkrankungen bei einer Person

Download: Dyskalkulie Informationstext

Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) und Legasthenie

Begriffsdefinition

Eine Lese-Rechtschreib-Schwäche/-Störung (LRS) liegt laut dem internationalen Klassifikationsschema ICD der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dann vor, wenn ausgeprägte Schwierigkeiten beim Lesen (Leseverständnis und -fähigkeit) und/oder Schreiben (Rechtschreibung) nicht ausschließlich durch Faktoren wie entwicklungsbedingte Defizite, Intelligenz, Seh- oder Hörprobleme oder fehlende Beschulung (z. B. längere Fehlzeiten) erklärbar sind.

Die Begriffe LRS und Legasthenie werden häufig synonym verwendet, es lassen sich aber Unterschiede in Schweregrad und möglichen Ursachen ausmachen. LRS kann vorübergehend sein, während Legasthenie als angeborene und schwerere Form betrachtet wird (Kuhn-Bamberger 2020).

Symptomatik/Erscheinungsbild

Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, z. B.

  • Rechtschreibung, Groß- und Kleinschreibung etc.
  • Textproduktion (geringer Umfang von selbst verfassten Texten, Rückgriff auf einfache Satzkonstruktionen)
  • Lesefluss: geringe Lesegeschwindigkeit, insbes. bei einer ungünstigen Repräsentation von Texten (z. B. geringe Schriftgröße, geringer Wort- und Zeilenabstand, fehlende Strukturierung von Texten)
  • geringes Leseverständnis (auch bei beruflichen Fachtexten) insbes. in Situationen, in denen schnelles Lesen gefordert ist

Darüber hinaus kann LRS dazu führen, dass Betroffene entsprechende Aufgaben meiden bzw. eine geringe Motivation zum Lesen und Schreiben zeigen (Schulte-Körne 2021; Steinbrink & Lachmann 2014).

Prävalenz1 (Häufigkeit der Erscheinung)

Die Prävalenz von LRS schwankt je nach Definition der Schwäche. Es wird geschätzt, dass ca. 2 – 4 % der Kinder im deutschen Sprachraum von spezifischen Lese- und Rechtschreibentwicklungsstörungen betroffen sind. Zwillingsstudien zeigen, dass das Risiko einer Rechtschreibstörung bei einem Kind bei etwa 50 – 70 % liegt, wenn ein Elternteil und/oder ein Geschwisterkind bereits betroffen sind (Schulte-Körne 2021).

Komorbidität2 (Begleiterkrankungen)

LRS tritt häufig in Verbindungen mit folgenden Störungen auf:

  • Rechenstörung bzw. Dyskalkulie: Probleme beim Rechnen, Schwierigkeiten in Bezug auf mathematische Fähigkeiten
  • AD(H)S: Unaufmerksamkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, vorschnelle Impulsivität oder Hyperaktivität in Form von körperlicher Unruhe
  • Depression: gedrückte Stimmung, Antriebslosigkeit
  • Angststörungen: Angstzustände in allgemein ungefährlichen Situationen, Vermeidungsverhalten, soziale Phobie als Angst vor Beurteilung durch andere, vor Kritik, verbunden mit geringem Selbstwertgefühl
  • Störungen des Sozialverhaltens: oppositionelles, aggressives und aufsässiges Verhalten, destruktives Verhalten, Wutausbrüche
    (Visser, Büttner & Hasselhorn 2019)

Ursachen

LRS kann durch eine Vielzahl von Faktoren ausgelöst werden, die nicht unbedingt genetisch bedingt sein müssen. Ursachen psychologischer Natur sind beispielsweise traumatische Erfahrungen in der Kindheit oder Stress. Auch physische Ursachen wie Hörprobleme oder neurologische Störungen können LRS begünstigen (Steinbring & Lachmann 2014). Bei der Legasthenie als spezifischer Form der LRS spielt dagegen die genetische Veranlagung eine herausragende Rolle.

Diagnostische Verfahren

In der Regel wird LRS in einem mehrstufigen Verfahren von hierfür geschultem Fachpersonal (Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen) diagnostiziert. Hierfür werden nach einem begründeten Anfangsverdacht (z.B. im Rahmen von Beobachtungen durch Lehrkräfte im Unterricht) verschiedene standardisierte Testverfahren eingesetzt (u.a. Intelligenztest sowie Lese-Rechtschreibtest).

Für den Kontext der beruflichen Schulen kann der Nürnberger Berufssprache Deutsch Test (NBD-T) interessant sein, um Hinweise auf etwaige Schwächen und Stärken in diesem Kompetenzbereich in beruflichen Kontexten zu erhalten. Der digital gestützte Test wurde für die Eingangsphase in der Berufsschule sowie für die Berufsfachschule entwickelt und ist berufsübergreifend angelegt (Döll, Kimmelmann, Michalak & Schwibach 2024).

Literaturhinweise

  • Döll, M., Kimmelmann, N., Michalak, M., & Schwibach, A. (2024). Sprachdiagnose zu Beginn der Berufsausbildung mit dem NBD-T. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht, 29(1).
  • Kuhn-Bamberger, H. (2020). Der praktische Ratgeber bei LRS (Lese-Rechtschreib-Schwäche und Legasthenie). Fant.
  • Steinbrink, C. & Lachmann, T. (2014). Lese-Rechtschreibstörung. Grundlagen, Diagnostik, Intervention. Springer.
  • Schulte-Körne, G. (2021). Lese-/Rechtschreibstörung. Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit LRS wirksam unterstützen und fördern. Kohlhammer.
  • Visser, L., Büttner, G. & Hasselhorn, M. (2019). Komorbidität spezifischer Lernstörungen und psychischer Auffälligkeiten. Ein Literaturüberblick. Lernen und Lernstörungen, 8(1), 7-20.

Anmerkungen

1 Prävalenz: Häufigkeit des Vorkommens eines Symptoms bzw. einer Beeinträchtigung in einem bestimmten Zeitraum in einer bestimmten Population
2 Komorbidität: Gleichzeitiges Vorkommen von mindestens zwei verschiedenen Erkrankungen bei einer Person

Download: Legasthenie und LRS Informationstext

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